Hilfe

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Kein blindes Vertrauen

Dürreperioden und Hungersnöte, Angriffe durch feindliche Volksstämme, harte körperliche Arbeit auf dem Feld, gesundheitliche Gefahren in der Schwangerschaft, Ausbeutung durch ungerechte Anführer – der Durchschnittsbewohner des alten Israel begegnete in seinem Leben vielen Schwierigkeiten. Der Großteil davon lag außerhalb des eigenen Einflussbereichs, sodass es nicht überraschend ist, dass die Israeliten sich oft hilfsbedürftig fühlten und dies auch zum Ausdruck brachten. Ebenso wenig überrascht, dass diese Hilflosigkeit besonders oft in den Psalmen zur Sprache kommt. Schließlich ist der Psalter das Buch im Alten Testament, wo Menschen am persönlichsten aus ihrer jeweiligen Lebenssituation heraus sprechen. Fast die Hälfte der Psalmen redet von „Hilfe“, „Rettung“ und dergleichen – weit mehr als jedes andere Buch im Alten Testament.

Die Umstände, in denen die Psalmisten um Hilfe bitten, sind verschieden. Der Autor von Psalm 6 scheint unter Krankheit zu leiden, der von Psalm 17 unter einer falschen Anklage vor Gericht. In Psalm 35 wird der Sprecher von Verfolgern gejagt, die ihm Fallen stellen und nach dem Leben trachten; in Psalm 79 ruft gleich das ganze Volk um Hilfe, weil fremde Nationen in Jerusalem eingedrungen sind. Daneben sind sich die Psalmschreiber auch stets dessen bewusst, dass die Armen und Unterdrückten im Volk Hilfe besonders nötig haben (Psalm 72,4). Meistens bleiben die Beschreibungen der Not aber eher vage. Details wie Personennamen werden nicht genannt, stattdessen werden Bilder verwendet, die in unterschiedliche Situationen passen würden (Psalm 69,3: „Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.”). Das liegt wahrscheinlich daran, dass solch allgemein gehaltene Psalmen mit Vorliebe in den Psalter aufgenommen wurden, da sie auch in anderen Zeiten und unter anderen Umständen gebetet werden konnten.

Neben der Häufigkeit, mit der die Psalmen von Hilfe und Rettung sprechen, fällt beim näheren Betrachten der Stellen vor allem eins auf: Das Subjekt der Hilfe ist immer Gott. Auch die wenigen Ausnahmen unterstreichen dies nur, wenn es etwa heißt, dass „Menschenhilfe nichts nütze ist“ (Psalm 60,13). Dies sollte nun nicht so verstanden werden, dass Menschen in keiner Weise helfen können; natürlich können sie es, und die alten Israeliten waren täglich auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Die Psalmen, in denen um Hilfe gebeten oder nachträglich für die Rettung gedankt wird, sprechen aber von Notlagen, in denen Hilfe von anderer Seite entweder nicht möglich ist oder verweigert wird – wo also, wie der Volksmund sagt, nur noch Beten hilft.

Dass man sich in solchen Notlagen verzweifelt an Jahwe wendet, ihm opfert und im Gebet um Hilfe bittet, ist an sich nicht überraschend, und ganz ähnlich taten es auch die Nachbarvölker mit ihren Göttern. Erstaunlich ist jedoch die Haltung der Psalmisten. Sie machen nämlich, wie gläubige Menschen zu allen Zeiten, die Erfahrung, dass Gottes Hilfe mitunter auf sich warten lässt, ja scheinbar ganz ausbleibt, und sie scheuen sich nicht, das mit deutlichen Worten anzusprechen: „HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“ (Psalm 13,2).

Und doch steht nie in Frage, dass Gott der ist, der helfen kann, und dass er es, früher oder später, auch tun wird. Die meisten Klagepsalmen, in denen Gott zu Hilfe gerufen wird, enden daher mit einem Ausdruck des Vertrauens darauf, dass Gott eingreifen wird. So heißt es auch am Ende des eben zitierten Psalm 13 – wohlgemerkt, bevor Jahwe eingegriffen hat: „Ich aber traue darauf, dass du so gnädig bist; mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.“

Das ist kein blindes Vertrauen: Die Psalmschreiber erkennen an, dass Gott als der Schöpfer alles in der Hand hat (Psalm 121,2), und sie erinnern sich an Gottes Hilfe in der Geschichte ihres Volkes (Psalm 22,5) oder in ihrem eigenen Leben, wie es in vielen Dankespsalmen berichtet wird. Daraus schöpfen sie den festen Glauben, dass Jahwe in jeder Lebenslage der Helfer schlechthin ist – ein unverfügbarer, unlenkbarer Helfer, aber ein Helfer, der es mit den Menschen gut meint und auf den man sich verlassen kann.

Text: Thomas Symank

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