Gnade

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Gnade

Gnade

Das unverdiente Geschenk

Es ist eine üble Drohung, dieses „Dann gnade dir Gott“, das sich durch nur eine einzige Buchstabenänderung als düstere Prophezeiung auch an uns selbst richten kann: „Dann gnade mir Gott“. Wie die Redensart auch verwendet wird, sie erzählt von einer ausweglosen Situation, die Schlimmes befürchten lässt und der wir ohne Hilfe und ohne Schutz entgegensehen – einsam, zurückgeworfen ganz auf uns selbst. Vor den drohenden Konsequenzen, ob sie nun verschuldet und unverschuldet über uns hereinbrechen, kann uns weder eigenes noch fremdes Tun länger bewahren, sondern nur noch ein Geschenk: Gottes Gnade.

Ein merkwürdiges Wort, diese Gnade. Es riecht nach absolutistischer Willkür, nach jener abstoßenden Machtdemonstration, die nach undurchschaubaren Kriterien mal den Daumen hebt und mal senkt. Das verträgt sich nur schwer mit dem Gottesbild moderner Prägung. Aber gerade weil Gnade uns Heutigen so sperrig erscheint, tut es gut zu wissen, wie glaubensgetränkt dieses Wort seit Jahrtausenden ist.

Nicht erst für Luther war die Suche nach einem gnädigen Gott ein zentrales Glaubensmotiv. Gnade ist überhaupt eines der häufigsten Wörter in der Bibel – und dort besonders in den Psalmen. Das kann eigentlich nicht verwundern, wähnen sich doch auch die Psalmbeter oft genug ganz zurückgeworfen auf sich selbst, umgeben von Feinden, den Untergang vor Augen.

Gott, wenigstens Gott, soll sich nicht abwenden: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich!“ (Psalm 27,7) Von ihm wird Schutz erhofft: „Denn du, HERR, segnest die Gerechten, du deckest sie mit Gnade wie mit einem Schilde.“ (Psalm 5,13) Und auf ihn richtet sich die Sehnsucht, trotz des Wissens um die eigene Schuld neu ins Leben zu finden: „Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.“ (Psalm 51,3)

Gnade, Güte, Barmherzigkeit – mit diesem Dreiklang nähern sich die Psalmen dem großen Unterschied zwischen Gottes Gnade und der Gnadenwillkür weltlicher Herrscher. Nein, auch Gottes Gnade lässt sich weder berechnen noch einfordern oder verdienen, sie ist kein Anspruch, sondern ein Geschenk. Aber sie ist durchwebt von einem verlässlichen Band und Bund: Gottes Treue zu seinem Volk Israel und zu allen Menschen. „Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich“, heißt es in Psalm 118. Und gleich im Psalm zuvor: „Lobet den HERRN, alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker! Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja!“

Also am Ende doch ein Freifahrtschein für alle, eine unkündbare Versicherung mit Heilsgarantie? Dass es so einfach nicht sein kann, sagt uns nicht nur unser Verstand. Das sagen uns auch die Psalmbeter. Um lebensbegleitend immer wieder auf Gottes Gnade und Güte hoffen und vertrauen zu können, bedarf es nicht nur seiner Treue. Es liegt auch an uns, das Band nicht abreißen zu lassen. Ausdruck dieser Sehnsucht ist das Gebet in Psalm 143: „Lass mich am Morgen hören deine Gnade; denn ich hoffe auf dich. Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir.“

In diesem Verlangen liegt viel Glaubensweisheit und -widerspruch verborgen: Gottes Wege und Gnade nicht ergründen zu können und doch alle Sinne dafür zu öffnen, das eigene Leben danach auszurichten. Und dabei immer wieder Gewissheit zu finden, dass die Schwachen bei Gott nicht verloren sind: „Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und nimmst dich meiner an in Not.“ (Psalm 31,8)

Text: Ekkehard Rüger

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